DIRECTOR'S STATEMENT
Vor einigen Jahren fielen mir alte Fotografien in die Hände:
Sie zeigen Kinder auf einem sonnigen Gletscherplateau. Mittendrin sitzt ein Junge in seinem Rollstuhl. Sein Gefährt ist mit Gürteln auf eine Rodel montiert und ich ziehe ihn auf diese Weise durch den Schnee.
Dieses Bild rief Erinnerungen an meine Zeit als Zivildiener wach. Damals arbeitete ich mit behinderten Kindern in einer Wiener Volksschule. Am Ende eines gemeinsam verbrachten Schuljahres entstand dann mein Kurzfilm it works. Die gewonnene Nähe eines gemeinsam gelebten Schulalltags ermöglichte es mir filmisch zu dokumentieren, wie meine damaligen ProtagonistInnen selbst ihre Umwelt aufnahmen, empfanden und wie sie sich nach außen kommunizierten.
it works wurde kein klassischer Portraitfilm über Menschen, sondern ein Dokument des unmittelbaren Tuns und Seins von vier Menschen in vier filmischen Akten.
it works - es geht - es geschieht - es passiert - es funktioniert.
Der erwähnte Bildfund ließ mich nicht mehr los. Was ist aus den Kindern von damals geworden? Wie leben sie als Erwachsene heute? Nach anfänglichem Zögern beschloss ich sie nach zwanzig Jahren wieder zu kontaktieren und war überrascht von der Vertrautheit und Nähe, die ich mit drei von ihnen in kürzester Zeit wieder herstellen konnte. Die Kamera war schnell wieder zur Hand, aber was (dokumentarisch) filmen, ohne wie eine Inszenierung zu wirken?
Ein wesentlicher Grundfaktor in meiner filmischen Arbeit und Herangehensweise an Menschen ist die Widmung von Zeit. Einige meiner ProtagonistInnen sind durch ihre Beeinträchtigungen und Wahrnehmungen der Umwelt besonders darauf angewiesen, eng mit den Koordinaten eines Ortes und mit einer strikten Tagesstruktur vertraut zu sein. Es war kaum daran zu denken so unvermittelt mit Kamera und Team in diesen Mikrokosmos einzudringen, ohne dabei Unruhe aufzuwirbeln, und erste gefilmte Szenen wirkten dabei durchaus künstlich.
Erst mit der Einkehr von Ruhe ließen sich die mikrokosmischen Alltagsereignisse hervorkehren, aus denen ein Film dokumentarisch gebaut werden konnte.
Hätte ich diese Beobachtung als schnellen Schnappschuss gestaltet, so wären viele Details im Verborgenen geblieben. Mein Gegenüber wäre in diesem Fall zu einem „abgefilmten Subjekt“ geworden, bei dem vorrangig die Behinderung im Vordergrund gestanden wäre.
Erst mit der ZEIT kann ich einen Menschen verstehen, und seine Geschwindigkeitsnorm nachvollziehen. Zeit wurde zum bestimmenden Faktor, um mich in der Welt meiner ProtagonistInnen zurechtzufinden. Ein LangZEITprojekt ist es geworden.
Fünf Jahre und 165 Drehtage hat es letztlich gebraucht, um das Vorhaben filmisch umzusetzen.
Der zweite Teil von it works möchte dem Zuschauer genau diese Erfahrung vermitteln, wie es bereits der Kurzfilm it works vor 25 Jahren tat - nämlich wie relativ die Normen sind, die von der Gesellschaft als Maßstab des Normalen vorgegeben werden.
Fridolin Schönwiese
März 2022